Was bedeutet es, „durchschnittlich“ zu sein? Ist „mehr“ immer besser? Oder macht das Extreme auf lange Sicht krank? Genau diesen Fragestellungen widmen wir uns heute.
Warum es gesund ist, durchschnittlich zu sein
„Alles, außer gewöhnlich“ – vielerorts ein Leitspruch. Es scheint, als würde der Durchschnitt mehr und mehr als Stadium der Selbstaufgabe gesehen werden. Es muss immer mehr geben, immer weiter gehen und vor allem immer schneller geschehen. Eine Lebenseinstellung, die oft auf Kosten von Gesundheit, Freundschaft oder Familie gehen.
Sportwissenschaftler Maximilian Walter, MSc und Christoph Somma MSc, Ernährungswissenschaftler und Berater für Hobby- und Leistungssportler seit 2016, über den „gesunden Durchschnitt“ im Sport – aber auch im Leben.
Was bedeutet es durchschnittlich zu sein
Das Wort Durchschnitt hat verschiedene Bedeutungen: Im allgemeinen Sprachgebrauch meint der Durchschnitt das Mittelmaß, eine mittlere Qualität oder Quantität. Erweitert man das Spektrum, so wird “durchschnittlich” auch gerne mit “normal” gleichgesetzt.
Das Mittelmaß als Feind
„Gesunder Durchschnitt” heißt es. Doch eben dieser Durchschnitt wird mittlerweile von vielen als etwas Schlechtes gesehen. Das Besondere wird so zur Vision und Prämisse der Selbstverwirklichung. Auch im Sport sehen wir dieses Phänomen immer öfter.
Nur noch ein Bruchteil der Sportler*innen betreibt diesen, um sich einfach zu bewegen und Spaß daran zu haben. Weiter, schneller, stärker, besser – ein Komparativ jagt den nächsten.
Durchschnitt im Sport – der Hang zum Extremen
Der Trend zum Extremen ist in vielen Bereichen sichtbar. Auch (oder vor allem) im Sport zeigt er sich. Und das, obwohl wir Österreicher*innen ohnehin zu wenig Sport betreiben.
Zu diesem Statement kam die WHO in ihren Studien. Als körperlich ausreichend aktiv wird beschrieben, wer sich in der Woche 150 Minuten bewegt oder 75 Minuten Sport treibt. Um durch Sport oder Bewegung die Gesundheit zu verbessern, sollten sich Erwachsene laut WHO allerdings doppelt so viel bewegen. Über 30 % der Österreichischen Bevölkerung erreichte diesen Wert nicht. Die Tendenz steigt. Corona und Homeoffice tun ihr Übriges.
Das heißt knapp ein Drittel der Bevölkerung bewegt schon einmal kaum oder zumindest zu wenig. Doch wie ist es mit dem Rest?
Extremer Sport – wenn Anspruch krank macht
Zugeben: der folgende Absatz bezieht sich auf keine Studien. Die Erkenntnisse basieren auf einem subjektiven Erfahrungswert durch unsere Coaching mit Kund*innen und Gespräche mit Kolleg*innen.
In diesen Gesprächen und Coachings beobachten wir eben diesen Trend zum gegenteiligen Extrem. Bei den vermeintlichen Hobbysportlern sind dann zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche schon sehr wenig (zumindest wird uns dies oft kommuniziert). Viele verlieren das Gefühl dafür, was der Körper aushält und was nicht. Die hechten einem unrealistischen Ideal hinterher, das ohnehin nie erreicht werden kann. Die unerreichbare Fiktion wird zur treibenden Kraft. Doch anstatt zu motivieren und anzuspornen, deprimiert sie.
Ein extremes Ungleichgewicht – ein Praxisbeispiel
Ein 33 jähriger Mann hat vor drei Jahren eine leitende Funktion in einem großen Unternehmen übernommen. Früher, so erzählt er, war er Leistungssportler, Schwimmen seine Paradedisziplin. Er konnte essen, was er wollte, ohne zuzunehmen. Seine Kraftwerte waren ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Irgendwann war Schluss mit Wassersport und CrossFit war die neue Herausforderung. Auch hier wusste er von Anhieb zu überzeugen und konnte stets steigende Werte verzeichnen.
Doch je mehr Zeit er in der Arbeit verbrachte, desto schwerer wurde jedes Training. Formplateaus waren die Folge. Dann kamen Gewichtszunahme und Leistungsabfall. Und das, obwohl das beinahe tägliche Training stetig angepasst und optimiert wurde. Irgendwann war die Motivation im Keller und er verlor den Spaß am Sport.
Auf meine Fragen, was sich in den letzten Jahren verändert hatte, wusste er zunächst kein Beispiel. Erst nach und nach konnten wir gemeinsam lebensverändernde Umstände ausmachen: Stress in der Arbeit, weniger Schlaf, weniger Freizeit und weniger Bewegung im Alltag. Doch eben diesen Umständen wollte er mit extremen Sport entgegenwirken.
Doch das geht nicht: Sechs bis sieben Trainingseinheiten pro Woche und trotzdem täglich 10-12 Stunden arbeiten, ständig Leistung abrufen und überall Vollgas geben, sind für niemanden machbar. Im schlimmsten Fall führt dies zu einer Negativspirale aus der man dann nicht mehr so leicht raus kommt.
Was haben wir also gemacht?
Wir haben einen realistischen Plan gezeichnet, was machbar ist und was nicht. Es musste ein adaptives Trainingssystem her, mit Trainingstagen für stressfreie Tage und Trainings für stressige Tage. Der Spaß sollte wieder im Vordergrund stehen. Ein wesentlicher Faktor war eben auch das Anerkennen des Durchschnitts.
Die eigene Leistung und den Durchschnitt anerkennen
In Zeiten der Selbstoptimierung, fällt es schwer, die eigene Leistung anzuerkenne. Vor allem, wenn diese nicht außergewöhnlich scheint. Das heißt nicht, dass man schlampig oder nachlässig werden sollte. Im Gegenteil, insbesondere da, wo es um lebenswichtige Entscheidungen geht, ist ein gewisser Perfektionismus erstrebenswert. Schließlich will niemand von einem schlampigen Chirurgen operiert werden. Wesentlich ist jedoch, für sich selbst zu erkennen, wo dieses unabdingbare Leistungsverlangen Leiden verursacht und krank macht.
Das Erlernen eines neuen Umgangs mit Fehlern und Schwächen ist wichtig und kann dabei helfen, Stress abzubauen und ein realistisches Selbstbild zu zeichnen. Ein Selbstbild, dem man gerne und Freude entgegen strebt.
Das ganze Gespräch im Podcast
Allen, die von diesem Thema nicht genug bekommen können, dürfen wir unseren Zone.Fit Podcast ans Herz legen. In diesem philosophieren Max und Christoph über ihre Erlebnisse und tauschen sich über die Themen Stress, Krankheit sowie Selbstoptimierung aus.
Richtig spannend und schön, um zu reflektieren.
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Über Christoph Somma:
- MSC Sport & Ernährung – in Ausbildung seit 2015 (DONAU UNI KREMS)
- Sc. Ernährungswissenschaften (UNI WIEN)
Christoph ist seit 5 Jahren als Ernährungsberater selbstständig. Er arbeitet mit vielen Profi- und Hobbysportlern und greift so auf eine weitreichende Expertise zurück. Mittlerweile stehen über 200 private Kundenberatungen zu Buche. Seit 9 Jahren ist er darüber hinaus Betreuer in einem Camp für übergewichtige Kinder. Seit 6 Jahren hat er die Leitung dieser Camps inne.
Mehr Infos: www.schwermotiviert.com